Die Zyklen der Gewalt


Aus der Arbeit mit misshandelten Frauen kristallisierte sich ein bestimmter Ablauf und eine bestimmte Dynamik von häuslicher Gewalt heraus, die mittlerweile als "Zyklustheorie der Gewalt" bezeichnet werden und erklären, wie misshandelte Frauen zu Opfern werden, in das Verhalten der gelernten Hilflosigkeit hineingeraten und darin zu verharren drohen, wenn keine wirksamen Intervention von außen erfolgt.

Der Zyklus hat drei deutlich zu unterscheidende Phasen, die in Zeitdauer und Intensität variieren:

Phase 1 - Phase des Spannungsaufbaus

Die Spannung zwischen den Partnern baut sich langsam auf; es kommen kleinere gewalttätige Zwischenfälle vor, die aber meist schon strafrechtliche Relevanz erreichen. Gewöhnlich versuchen die Frauen, diese Vorfälle zu bagatellisieren und die Spannung möglichst gering zu halten. Daher bemühen sie sich, den Mann mit Hilfe von Methoden zu besänftigen, die sich bereits vorher als erfolgreich erwiesen haben, z.B. besonders fürsorglich und nachgiebig zu sein, ihm aus dem Weg zu gehen etc. Die Frauen glauben, dass sie sich durch dieses Verhalten eine Steigerung seiner Aggression verhindern können. Hier setzt der psychologische Mechanismus der Realitäts- und Selbstverleugnung ein. Die Frauen legen sich Gründe zurecht, warum sie die Misshandlung verdient haben und identifizieren sich dabei mit der falschen Argumentation des Gewalttäters: Wenn er sie nach einer verbalen Auseinandersetzung schlägt, folgert sie daraus, dass sie ihn mit einer Bemerkung dazu gebracht hat. Sie denkt zwar, dass es nur ein relativ kleiner Vorfall war. Denn betroffene Frauen wissen, dass die Reaktion des Mannes schlimmer gewesen sein könnte: Er hätte sie noch schwerer misshandeln können. Misshandelte Frauen neigen dazu, die Vorfälle - ganz gleich wie schlimm sie sind - zu bagatellisieren in dem Wissen, das der Gewalttäter wesentlich mehr hätte anrichten können.

Viele betroffene Frauen arbeiten angestrengt daran, das Verhalten anderer Familienmitglieder, Freunde oder Bekannten gegenüber dem Gewalttäter zu manipulieren: Sie decken und entschuldigen ihn - das frustriert und irritiert häufig diese nahestehenden Personen, die der Frau helfen wollen. Die Frauen tun dies, weil sie befürchten, dass die helfenden Personen den Mann aus der Fassung bringen und diese dann selbst in Mitleidenschaft gezogen werden, da sie wissen, dass der Mann willens und imstande ist, weiteres Unheil anzurichten. Oft drohen Gewalttäter der Frau solche Brutalitäten gegenüber anderen Personen, die ihr helfen wollen, an.

Die Ausbrüche des Mannes steigern sich in dieser Phase, während die Frauen meist weiter versuchen, die Gewaltakte zu ignorieren. Frauen, die schon längere Zeit misshandelt werden, können diese Entwicklung in der Regel genau beurteilen. Denn sie haben durch Erfahrung gelernt, dass der weitere Verlauf nicht aufzuhalten ist und sie den Misshandlungen nicht entgehen können. Sie wissen, dass alle Bemühungen keinen Einfluss auf die zunehmende Gewalttätigkeit des Mannes haben. Von dem ständigen und zunehmenden Stress erschöpft, zieht sich die Frau gewöhnlich immer mehr von dem Gewalttäter zurück, weil sie fürchtet, eine noch schlimmere Reaktion auszulösen. Er dagegen beginnt, sie mehr und mehr zu unterdrücken und lässt ihr kaum noch Luft zum Atmen. Die Spannung wird unerträglich. Sie steigert sich bis zum abrupten Ausbruch der Gewalttätigkeit des Mannes in der zweiten Phase, die für die Frauen ein Schockerlebnis ist.

Phase 2 - Der akute Gewaltakt

Das auslösende Moment für den Eintritt in diese zweite Phase ist manchmal das Verhalten der misshandelten Frau, meist jedoch ein äußeres Ereignis oder der innere Zustand des Mannes. In dieser Phase ist die Frau besonders hilflos, denn zu welchem Zeitpunkt die "Explosion" erfolgt und wieder abflaut, hängt allein vom Mann ab. So weckt der Gewalttäter z.B. die Frau aus tiefem Schlaf, um mit der Attacke zu beginnen. Antwortet sie auf seinen Wortschwall, wird er noch wütender über das, was sie sagt. Bleibt sie still, erbost ihn ihre Reserviertheit. Geschlagen wird sie, egal wie sie reagiert.

Nach der Tat versuchen die Frauen häufig, ihre Verletzungen zu vertuschen, um den Mann nicht zu erneuten Misshandlungen herauszufordern. Der Mann ist gewöhnlich im ersten Moment über die Folgen seiner Handlung schockiert, bemüht sich dann aber, die Tat vor sich selbst und seiner Frau herunterzuspielen oder zu leugnen. Ein großer Teil der Reaktionen, die misshandelte Frauen nach der Tat aufweisen, ähnelt denen von Katastrophenopfern, die ebenfalls ca. 20 bis 48 Stunden nach der Katastrophe einen emotionalen Kollaps erleiden. Zu den Symptomen gehören Teilnahmslosigkeit, Depression, Gefühle der Hilflosigkeit. Außer wenn Frauen so zugerichtet wurden, dass sofortige ärztliche Behandlung notwendig ist, suchen die meisten in der Zeit unmittelbar nach der Attacke keine Hilfe, da sie glauben, niemand könne sie wirkungsvoll vor der Gewalttätigkeit des Mannes schützen.

Polizeibeamte führen in diesem Zusammenhang Fälle an, dass sie, wenn sie versuchen, sich unmittelbar nach der Gewalttat einzuschalten, in manchen Fällen von den Frauen angegriffen werden. Zu erklären ist dieses Verhalten mit der Angst und den negativen institutionellen Erfahrungen betroffener Frauen. Wenn die Polizei nach häufig in diesen Fällen praktiziertem reinem Schlichtungsversuch ohne Interventionsmaßnahmen gegenüber dem Täter wieder geht, ist die misshandelte Frau mit dem Gewalttäter wieder allein und ist eventuell weiteren und noch schwereren Misshandlungen ausgesetzt. Wenn misshandelte Frauen gegenüber der Polizei aggressiv agieren, versuchen sie damit, dem Mann gegenüber ihre Loyalität zu demonstrieren in der Hoffnung, weitere Prügel abzuwenden.

Phase 3 - Zuwendung und reuiges, liebevolles Verhalten des Täters.

In der dritten anschließenden Phase legt der Gewalttäter ein charmantes, liebevolles Verhalten an den Tag. Er bittet seine Partnerin um Verzeihung und verspricht, dass er es nie wieder tun wird.

Angesichts der Bemühungen des Mannes, seine Gewalttätigkeit vergessen zu machen, fällt es misshandelten Frauen schwer, in dieser Phase den Partner zu verlassen. Sie möchten gerne glauben, dass sie nicht mehr unter Misshandlungen zu leiden haben werden. Sie möchten gerne glauben, dass das Verhalten, das sie während dieser Phase erleben, erkennen lässt, wie ihr Partner in Wirklichkeit ist: Wenn man ihm nur helfen könnte, dann wäre er die ganze Zeit so.

Der Mann erinnert seine Frau daran, wie sehr er sie braucht; häufig behauptet er, etwas Schreckliches passiere ihm, wenn sie ihn verlassen würde. Gewöhnlich gewinnt er Verwandte, die Kinder, die Freunde dafür, sich bei der Frau für ihn einzusetzen. Sie alle versuchen - meist erfolgreich -, sie über ihr Schuldgefühl zu beeinflussen: Die Frau sei seine einzige Hoffnung, ohne sie wäre er vernichtet. Und: Was würde mit den Kindern passieren ohne den Vater?

Da viele Frauen sich nach traditioneller Rollenauffassung für Beziehung und Familie und deren Dauerhaftigkeit verantwortlich fühlen, fallen sie diesen Schuldgefühlen und Überredungen leicht zum Opfer und wollen dem gewalttätigen Partner durch ihr Bleiben die von ihm geforderte Hilfe zukommen lassen. Sie sehen sich dadurch als notwendiger Bestandteil seine Wohlergehens; so wird die Bindung in dieser Phase entscheidend gefestigt und verstärkt. Die Frauen können sich zu diesem Zeitpunkt am Schwierigsten von ihren gewalttätigen Partnern trennen.

Die kurzzeitig vorhandene realistische Einschätzung der Situation, das kurz zugelassene Erleben von Wut und Schrecken, der Wunsch, nicht mehr und nie mehr Opfer einer solchen Misshandlung und Demütigung sein zu wollen, verschwinden unter den Reuebekundungen des Gewalttäters und den Appellen des sozialen Umfeldes an die Frau, die Familie und die Beziehung nicht durch eine Trennung zu zerstören.

Frauen, die diesen Zyklus zum ersten Mal durchlaufen, hoffen, dass das gewalttätige Verhalten, wenn die anderen beiden Phasen eliminiert werden können, aufhören und die von ihr idealisierte Beziehung bleiben wird. Bei Frauen, die diesen Zyklus bereits mehrfach durchlaufen haben, trägt das Wissen, dass ihre seelische und körperliche Sicherheit für diesen vorübergehenden idealisierten Zustand eingetauscht haben, zu ihrem Selbsthass und zu ihrer Beschämung bei. Die Frau wird durch die wiederholte Erfahrung ihrer Hilflosigkeit in der Misshandlungssituation und ihre Verstrickung in die Beziehung zu dem gewalttätigen Mann zur "Komplizin der eigenen Misshandlung".

Die dritte Phase dauert in der Regel länger als Phase 2, ist aber kürzer als Phase 1. Die Frauen machen entgegen ihren Hoffnungen meist die Erfahrung, dass die Gewalttätigkeiten sich wiederholen und eskalieren. Wenn der gewalttätige Mann sich wieder sicher ist, dass die Partnerin bleibt, beginnt der Kreislauf von vorne. Allmählich geht das ruhige, liebevolle Verhalten wieder über in kleine Gewaltakte. Der Spannungsaufbau der Phase 1 tritt wieder ein; eine neuer Zyklus gewalttätigen Verhaltens beginnt.

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